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Was Scham ist und warum man lernen sollte, sich nicht für Scham zu schämen

Nachdem ich kürzlich an Vorträgen zum Thema Scham teilnehmen durfte, möchte ich in diesem Beitrag einen Einblick in dieses häufig – und zu Unrecht – eher negativ konnotierte Empfinden der Scham und des Beschämtseins geben. Gefühle der Scham beeinflussen unser Verhalten und die Steuerung unseres Handelns in großem Ausmaß. Sie spiegeln einerseits unser Streben nach Autonomie, selbstbestimmtem Handeln und Individualität wider und werden andererseits ganz maßgeblich vom menschlichen Hang nach Zugehörigkeit, Verständnis und Wertschätzung gesteuert.

 

Daniel Hell schreibt über Scham und Beschämung als Phänomen, dass sie „zumeist mit sozialer Schande oder narzisstischer Kränkung gleichgesetzt werde“, obwohl sie vielmehr eine „‚Türhüterin des Selbst‘“ sei (Hell, 2018). Daran anknüpfend ist zu betonen, dass Scham nicht nur ein zentrales Empfinden des eigenen Selbst ist, sondern auch in Hinblick auf die Gesellschaft und das soziale Miteinander eine regulierende Funktion übernimmt. Damit kann Scham intersubjektive, gesellschaftliche Funktionen einnehmen, was möglicherweise die aktuelle Popularität der Thematik erklärt. Ganz anders ist die Beschämung einzuordnen, deren Erfahrung so weit gehen kann, dass sie Kinder in ihrer Entwicklung hemmt oder aber dazu führt, sich selbst nicht mehr (als gesund) wahrzunehmen. Auf diese Weise kann es dazu kommen, dass in der Kindheit (und auch im späteren Leben) erlebte Beschämung und/oder verdrängte Schamgefühle jahre-, wenn nicht lebenslange Auswirkungen haben können.

 

Scham und Beschämung können zwar Kontrollfunktionen übernehmen, diese Empfindungen aber auch zu akzeptieren und nicht mit Gefühlen wie Aggression, Wut, Angst darauf zu reagieren oder Scham und Beschämung damit überdecken zu wollen, ist nicht immer einfach, denn Scham kann bei Fakten ansetzen, gegen die niemand etwas ausrichten kann und die einem Menschen mehr, dem anderen weniger bedeuten – und die von anderen wiederum überhaupt nicht als bewertungsrelevant wahrgenommen werden, wie z. B. das Alter: Schäme ich mich für mein Alter unabhängig davon, ob ich jung – und in der Selbstwahrnehmung damit unreif – oder alt – und in der Selbstwahrnehmung damit bedeutungslos – bin?

Ich möchte ganz klar sagen, dass es zentral sein kann, Gefühle der Scham zu achten und diese auch schätzen zu lernen. Sie können uns helfen, uns zu warnen, wenn wir dabei sind, den Respekt vor uns selbst zu verlieren oder wider unser eigentliches Wesen und unsere Bedürfnisse handeln. Doch wie so oft macht auch hier die Dosis das Gift.

 

Schamgefühle entstehen immer dann, wenn jemand meint, sein tatsächliches Auftreten, Verhalten, Aussehen entspreche nicht dem eigenen Selbstbild. Doch dieses Selbstbild setzt sich erst aus dem zusammen, das jede und jeder von sich aus Perspektive der sozialen Umgebung haben möchte. Gewertet wird demnach aufgrund des Maßstabs, wie man selbst in den Augen anderer erscheinen möchte – etwas, das jeder Mensch, wenn überhaupt, nur bedingt steuern kann. Zusätzlich ist das Selbstbild abhängig von kulturellen, entwicklungspsychologischen und sozialen Gegebenheiten. Ein großer Teil des Schamerlebens resultiert aus diesen drei Säulen, die wiederum von einem selbst schwer beeinflussbar sind.

 

Scham und Beschämung spielen in psychotherapeutischen Kontexten ganz wesentliche Rollen, als sie zumeist ungern gezeigt werden, jedoch häufig vorhanden und durch andere Gefühle verdeckt werden. Wichtig ist, diese Gefühle anzunehmen, um zugrundeliegende, möglicherweise blockierende Erfahrungen wahrnehmen und somit achtsamer mit sich selbst umgehen zu lernen. In einem nächsten Schritt folgt daraus, sich selbst dem Selbstbild, das man von sich hat, anzugleichen. Michael Depner meint in dieser Hinsicht: „Wenn es zu Ihrem Selbstverständnis gehört, Italienisch zu sprechen, dann lernen Sie es.“ (Depner 2019.)

Abschließend sei eine Erkenntnis zu betonen: „Schamfreiheit ist eine seltene Tugend, Schamlosigkeit ein häufiges Laster.“ (Depner 2019)

 

Literaturverweise und Link:

Depner, Michael (2019), Seele und Gesundheit, Bd. 2 Psychologie.

Hell, Daniel (2018), Lob der Scham. Nur wer sich achtet, kann sich schätzen.

 

Fachtagung zum Thema Scham und Beschämung: https://www.promente-wien.at/14-news/153-pro-mente-wien-fachtagung.html

 

Auf meiner Homepage finden Sie nicht nur die einzelnen Themen, zu denen ich Unterstützung und Übungen anbiete, sondern auch unterschiedliche psychotherapeutische Methoden erläutert, mit denen ich arbeite. Sollten Sie Fragen haben, kontaktieren Sie mich bitte gerne.

 

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Michaela Legl-Bruckdorf, B.A., MSc

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