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Verbundenhei(l)t durch Hilfs-Ich und Hilfs-Wir: Fortsetzung der Reihe zum Thema „Gemeinschaft heilt“

„Wer das helfende Wort in sich aufruft, erfährt das Wort, wer Halt gewährt, verstärkt in sich den Halt, wer Trost spendet, vertieft in sich den Trost, wer Heil wirkt, dem offenbart sich das Heil.“ (Martin Buber)

 

 

Seit dem Frühsommer konzentrieren sich die Blogbeiträge auf den Menschen als soziales Wesen, der (neue) Erkenntnisse in Gemeinschaft sucht und finden kann. Die beiden abschließenden Beiträge – September und Oktober – stellen eine besondere Form der Heilung durch Gemeinschaft und also das (Inter-)Agieren mit anderen dar: Hilfs-Ich und Hilfs-Wir.

Das Hilfs-Wir erweitert die grundsätzliche Möglichkeit der Gruppentherapie, indem (belastende) Erfahrungen nachgezeichnet und in korrigierender Form noch einmal erlebt werden können. „Viele Gruppenmitglieder bringen durch die Auseinandersetzung mit den Problemen, die sie im Umgang mit ihren Therapeuten und mit anderen Gruppenmitgliedern haben, auch bisher ungelöste Probleme aus wesentlich früheren Zeiten zum Abschluss.“ (Yalom 2010, 40) Die unterschiedlichen Hilfs-Wirs machen dabei „eine größere soziale Komplexität beschreibbar und begreifbar“ (Buckel, 2021, 13).

 

Gruppenteilnehmende lernen voneinander, können starre Verhaltens- und Reaktionsmuster auf ihren Nutzen überprüfen und gegebenenfalls anpassen. (Vgl. Unterholzer, 2013, online) „Gruppenmitglieder [können] ihre zwischenmenschliche Kommunikation verbessern und dysfunktionale Muster in der Beziehung zu anderen schneller erkennen und korrigieren.“ (ebda) Wo sich die Gruppe anfangs nicht im Lösungsmodus befindet, kommt es durch das „Spiel“, „die wiedererlebte Realität“, den Einsatz der Formen des Hilfs-Wir zu einem Perspektivenwechsel nicht nur bei einzelnen Teilnehmenden, sondern bei der ganzen Gruppe (Buckel, 2021, 14). Die Vorgehensweise bleibt dabei gleich, kann aber in unterschiedlichen Varianten eingesetzt werden: „Spiel – Reflexion – Erprobung – Reflexion – Erprobung – usw.“ (ebda). Einmal kann das Publikum bzw. die Teilnehmenden als Hilfs-Wir agieren, dann wiederum die gruppenleitende Person; in drei Schritten wird damit „aus einem passiven ‚Ich‘ im Publikum ein aktives ‚Hilfs-Wir‘“ (ebda, 18). 

 

 

Besonders bedeutsam sind die Möglichkeiten, die Hilfs-Iche bieten, zudem für die psychodramatische Familienspieltherapie. Hierbei werden Eltern resp. Bezugspersonen nach und nach von den Therapierenden angeleitet, „als Hilfs-Iche für ihre Kinder deren Entwicklung wirkungsvoller unterstützen [zu] können“ (Mingers/Schaul, 2021, 21). Dadurch wird die Möglichkeit geschaffen, „Familien bei der Entwicklung einer neuen Haltung zueinander zu unterstützen und so neue Ressourcen zu erschließen“ (ebda, 32). 

Yalom (2010) bezeichnet die Gruppe als „soziale[n] Mikrokosmos“, weshalb diese Form der Therapie „eher der sozialen Realität von Gruppenmitgliedern als die duale Einzeltherapie [entspricht]. Durch die Gruppe treten Verhaltens- und Erlebensweisen auf, die in Einzeltherapie nicht zugänglich wären.“ (Unterholzer, 2013, online) Buckel (2021), der primär das Hilfs-Wir im Soziodrama betrachtet, sieht die Einsatzmöglichkeiten des Hilfs-Wir allerdings allgemein in gruppentherapeutischen Settings und nicht nur dort, sondern über das Soziodrama und das therapeutische Setting hinausreichend, womit es in die von mir in den letzten Monaten beschriebene „Verbundenhei(l)t“ fällt. Demnach „könnte die Idee von sich gegenseitig Helfen [sic!] und gleichzeitig die große Komplexität sozialer Systeme in den Blick nehmen für das menschliche Zusammenspiel sehr bereichernd sein“ (Buckel, 2021, 19). 

Wie bereits von mir beschrieben, ermöglicht uns die Gemeinschaft neue Erfahrungen in Interaktionen, Reflexionen und eine Realitätsüberprüfung. Sie führt außerdem zu einer Verbesserung der sozialen Wahrnehmung und stärkt die Verbundenheit zwischen den Teilnehmenden, die nach und nach ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln, das wiederum dazu führt, sich gegenseitig zu helfen und zu unterstützen.

Falls Sie Fragen haben, kontaktieren Sie mich gern!

Literatur:

Buckel, C. (2021): Gemeinsam soziale Komplexität erforschen. Das Hilfs-Wir als Hauptinstrument im Soziodrama. In: Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie. Themenschwerpunkt: Hilfs-Ich. 01/21.

http://ist.or.at/userfiles/image/Unterholzer%20IST%20Hoffnung%20Gruppentherapie.pdf

Kolmorgen K., Spitzer-Prochazka S. (2021): Vorwort. In: Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie. Themenschwerpunkt: Hilfs-Ich. 01/21.

Mingers D., Schaul H. (2021): Hilfs-Ich Funktion in der psychodramatischen Familienspieltherapie. Im Dienste der Familie. In: In: Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie. Themenschwerpunkt: Hilfs-Ich. 01/21.

Strauss B. (2017): Geteiltes Leid. In: Gehirn &Geist 08/17.

Yalom I. (2010): Theorie und Praxis der Gruppenpsychotherapie. Ein Lehrbuch. Klett-Cotta, Stuttgart.

 

 

Bilder:

 

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Michaela Legl-Bruckdorf, B.A., MSc

Psychotherapeutin 

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