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(Negative) Einsamkeit oder (positives) Alleinsein?

Das negative Gefühl der Einsamkeit ist vom positiven Gefühl des Alleinseins zu unterscheiden, das für viele Menschen essenziell ist. Niemals Ruhe zu finden und sich zurückziehen zu können, kann gleichermaßen bedrücken wie andauernde Einsamkeit. Alleinsein an sich ist die bewusste Entscheidung, Zeit allein zu verbringen und dies als eine wertvolle und bereichernde Erfahrung zu betrachten. Ein solches Alleinsein ist keine Einsamkeit, sondern beinhaltet das Genießen der eigenen Gesellschaft, ohne das Gefühl sozialer oder körperlicher Isolation zu haben. Positives Alleinsein kann eine Gelegenheit sein, sich selbst besser kennenzulernen, sich zu erholen, zu reflektieren und persönliche Interessen zu verfolgen. Es ermöglicht einem, sich auf sich selbst zu konzentrieren, innere Ruhe zu finden und sich selbst zu verwöhnen. Positive Alleinzeit kann auch Raum für Kreativität, Selbstentwicklung und persönliches Wachstum bieten. Es ist eine Gelegenheit, die eigene Unabhängigkeit zu schätzen und in sich selbst Kraft und Zufriedenheit zu finden.

Bild von Jose Antonio Alba auf Pixabay
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Einsamkeit darf zudem „nicht gleichgesetzt werden mit dem medizinisch-psychologisch genutzten Terminus der ‚sozialen Isolation’. Isolation liegt, medizinisch betrachtet, dann vor, wenn sich ein Mensch zurückzieht, sich von der sozialen Gemeinschaft abspaltet. Gründe dafür können sowohl physischer als auch psychischer Natur sein.“ (Stoiser, 2010, S. 8) Ist man gezwungenermaßen allein, kann das Gefühl der Einsamkeit entstehen. Alleinsein kann negativ und zu Einsamkeit werden, wenn es unfreiwillig, dauerhaft oder mit negativen Emotionen verbunden ist. Geht Alleinsein mit Gefühlen der sozialen Isolation, der Trennung und des Mangels an zwischenmenschlicher Verbindung einher, kann es zu Einsamkeit führen. Es kann auch zu einer Form der Isolation führen, wenn man sich von anderen Menschen abgeschnitten fühlt, sei es aufgrund äußerer Umstände wie mangelnder sozialer Unterstützung oder aufgrund persönlicher Entscheidungen. Wenn Alleinsein mit negativen Emotionen wie Traurigkeit, Hoffnungslosigkeit oder Depression einhergeht, kann es das psychische und physische Wohlbefinden beeinträchtigen. Eder geht sogar so weit zu behaupten, dass soziale Isolation „für subjektives Wohlbefinden ebenso ein ‚Risikofaktor’, wie die klassischen Risikoverhaltensaspekte von Rauchen, Trinken, usw. ist“ (Eder, S. 120).

Sozialer Rückzug und das Verlernen von Gemeinschaft aufgrund der Dauerkrisen

In den letzten Jahren haben die Dauerkrisen dazu geführt, dass Menschen aus der (zunächst in vielen Fällen selbst gewählten) Isolation nicht mehr herausgefunden haben. Krause und Marx stellen sich die Frage, ob Einsamkeit die neue Volkskrankheit sei (Kleine Zeitung, 2023, S. 14–15). Nach der Coronapandemie hätten es die Menschen zunehmend verlernt, miteinander zu reden. Begünstigt werde diese Problematik durch die aktuell bereits von Kindern betriebene exzessive Nutzung digitaler und „sozialer“ Medien. Aufgrund digitaler Endgeräte verlernen wir die Beschäftigung mit uns selbst und mit der tatsächlichen Umwelt/Familie/Freund:innen. (Ebd.) Dieses angelernte Verhalten „räche sich im späteren Leben, wenn Probleme auftauchen, man aber nicht gelernt hat, mit anderen darüber zu reden“ (ebd., S. 14). 

Bild von 愚木混株 Cdd20 auf Pixabay
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Die aktuelle SORA-Studie, bei der 1.000 Menschen vom Sozialforschungsinstitut SORA in ganz Österreich zum Thema Einsamkeit befragt wurden, zeichnet ein besorgniserregendes Bild. Schwertner, Caritasdirektor der Erzdiözese Wien, geht diesbezüglich auf wesentliche Schwierigkeiten ein und fasst zusammen: „Sowohl die Pandemie als auch die Teuerungen führen dazu, dass Menschen ihre Sozialkontakte verringern müssen.“ (Online) Im Rahmen der Studie berichtete

 

[j]ede/r Vierte […], sich aufgrund der Corona Pandemie einsamer zu fühlen. Insgesamt geben 17% der Befragten an, dass sie Sozialkontakte durch die Preisanstiege der jüngeren Vergangenheit einschränken mussten. Besonders hoch ist dieser Anteil bei Personen mit einem Haushaltseinkommen bis 1.500 Euro: Hier musste mehr als jede/r Dritte die Sozialkontakte einschränken. Und auch ältere Menschen geben deutlich häufiger als andere an, „mehr als die Hälfte der Zeit“ einsam zu sein. Insgesamt räumt fast jede und jeder Dritte ein, dass seine oder ihre Lebensqualität durch Einsamkeit verringert wird. Jede und jeder Vierte wünscht sich mehr soziale Kontakte. Die Ergebnisse der Umfrage zeigen auch, dass Einsamkeit ein Thema ist, über das nicht gern gesprochen wird. Jeder zweite Befragte ist überzeugt: Einsamkeit ist ein Tabuthema. Und mehr als zwei Drittel der Befragten sind der Meinung: Einsamkeit nimmt zu. Eine knappe Mehrheit der Bevölkerung (53 Prozent) ist überzeugt, dass die Politik mehr Maßnahmen gegen Einsamkeit setzen sollte. (Ebd.)

Bild von Grae Dickason auf Pixabay
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Dauerhafte Einsamkeit führt auch zu körperlichen Beschwerden, kann krank machen: „Schlaf- und Befindlichkeitsstörungen, Magen- und Herzbeschwerden oder psychosomatische Erscheinungen.“ (Kleine Zeitung, 2023, S. 14) Einsamkeit tritt auf, wenn wir uns von anderen Menschen entfremdet fühlen und das Bedürfnis nach zwischenmenschlicher Verbindung unerfüllt bleibt. In diesem Zustand kann man sich emotional abgeschnitten und vernachlässigt fühlen, selbst wenn man von anderen Menschen umgeben ist. 

Einsamkeit bedeutet damit nicht nur, allein zu sein, sondern vielmehr das Fehlen einer tiefen und bedeutsamen Verbindung zu anderen Menschen – Einsamkeit kann demnach auch in Partnerschaften auftreten und sehr belastend sein. „Sobald man nicht mehr kommunizieren kann, wird man einsam. Das zeigt sich besonders in Familien und in persönlichen Beziehungen ebenso wie am Arbeitsplatz.“ (Radiokolleg, 2023, online) Da Menschen zunehmend in dieser „Schweigefalle“ (ebd.) sitzen, werde ich im August Wege und Unterstützung aus der Einsamkeit skizzieren.


Quellen:

Eder, Anselm (1990): Risikofaktor Einsamkeit. Theorien und Materialien zu einem systemischen Gesundheitsbegriff. Wien, New York: Springer-Verlag.

Kraus, Sonja & Marx, Martina (2023): Dauerkrisen verschärfen Einsamkeit. In: Kleine Zeitung, 22.05.2023, S. 14–15.

Stoiser, Claudia (2011): Es lebe die Einsamkeit! Eine vergleichende Analyse der Darstellung von Alleinsein, Einsamkeit und sozialer Isolation literarischer Figuren in ausgewählten Texten der Neueren Deutschen Literatur. Masterarbeit.

Online: „Wie einsam ist Österreich?“ Caritas und Magenta präsentieren neue SORA-Studie und ziehen Bilanz zu Projekt Plaudernetz: https://www.caritas-wien.at/ueber-uns/news-presse/information/news/93188-wie-einsam-ist-oesterreich-caritas-und-magenta-praesentieren-neue-sora-studie-und-ziehen-bilanz-zu-projekt-plaudernetz/

Radiokolleg (2023): Wenn Einsamkeit krank macht. Allein sein – Kraftquelle oder Belastung? (3): https://oe1.orf.at/programm/20230405/715497/Wenn-Einsamkeit-krank-macht.

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Michaela Legl-Bruckdorf, B.A., MSc

Psychotherapeutin 

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